Das kurze Zeitfenster der Anarchie

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E-Werk Control Room, Berlin 1990, Photo by Neil Hester

Besetzte Häuser, Techno-Undergroundkultur und verlassene Brachflächen. Das wiedervereinte Berlin war in den Jahren nach dem Mauerfall 1989 ein Open-Air-Laboratorium, in dem unterschiedlichste Lebensentwürfe ihren Platz fanden. In der ARTE-Dokumentation „Party auf dem Todesstreifen“ wird jetzt das „Golden Age of Techno“, die frühen 90er Jahre, portaitiert. Von den aufregenden Anfängen im Untergrund bis zur Kommerzialiserung und Vereinnahmung durch den Mainstream.

Stemmeisen müssen im Berlin der frühen 1990er Jahre Hochkonjunktur gehabt haben. Diesen Eindruck erweckt zumindest die ARTE-Doku „Party auf dem Todesstreifen“. Nach dem Fall der Mauer waren technobegeisterte Freaks, Träumer und Utopisten in den riesigen Industriebrachen entlang der ehemaligen Mauer auf der Suche nach temporären Freiräumen für ihre selbstorganisierten Raves. Es ging um mehr als um Party: Im hier-und-jetzt leben, den neugefundenen Freiraum feiern, die inneren Bedürfnisse nach aussen tragen.

Als Rahmen für elektronisch und maschinell erzeugte Musik eigneten sich die alten Fabrik- und Lagergebäude hervorragend. Eine Schnittstelle für Architektur und Musik, wie der an anderem Ort noch immer existierende „Tresor“, der in einem stillgelegtem Tresorraum einer Bank befand oder dem „E-Werk“ am Potsdamer Platz, ein riesiges ehemaliges Umspannwerk, in dem vor allem die riesigen Schaltzentralen eine spektakuläre Kulisse darstellten. Die in der Doku verwendeten Originalaufnahmen von Raves und Straßenszenen der frühen 1990er Jahren gewähren spektakuläre Einblicke in die Lebenswelten der ersten Raver und deren einzigartiges Lebensgefühl. Ostberliner, die im Westen das erste Mal in Clubs feiern, die sie bis dahin nur aus Radiosendungen von Monika Dietl kannten, die als mitgeschnittene Bootleg-Kassetten unter der Hand vertrieben wurden. Westberliner, die den entstandenen Freiraum in Ost-Vierteln wie Friedrichshain oder Prenzlauer Berg aufsogen. Und Radiomoderatoren,DJs und Veranstalter, die den Resonanzkörper für den technoiden „Summer of Love“ bildeten. In der Doku erzählen von dieser Zeit Szenegrößen wie Tanith, Wolle XDP oder Danielle de Picciotto und erschaffen ein ebenso umfangreiches, wie persönliches Bild der Techno-Bewegung.

Wie beim Hippie-Summer-of-Love gab es auch bei der Techno-Variante einige Kehrseiten, die auch in der ARTE-Doku thematisiert werden. Eine fortschreitende Kommerzialisierung der Subkultur Techno, sich schließende Freiräume in der Berliner Innenstadt und immer härter werdende Drogen beispielsweise.  Und doch ist unübersehbar wie stark die Ideen dieser besonderen Zeit bis heute das Nachtleben beeinflussen. Clubs wie das Berghain, das „://aboutblank“ oder das inzwischen geschlossene „Kater Holzig“ stehen architektonisch, konzeptionell und ideell in der subkulturellen Tradition der Wendejahre. Auch wenn der Aufbruch inzwischen nicht mehr mit dem Stemmeisen bewerkstelligt, sondern überwiegend mit festen Mietverträgen wird.

In der ARTE-Mediathek Arte+7 bis zum 03.08

Wiederholungen:
Fr, 01.08. um 3:05 Uhr
Fr, 15.08. um 1:35 Uhr